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Die sonderbare Geschichte
der Französischen Gemeinde zu Potsdam - Ein Rückblick 1973

.... se fixer dans cette ville, dont le séjour agréable et moins coûteux que celui de Berlin

   

Günter Rutenborn

 

Potsdam! Der Name läßt jedes Hugenottenherz höher schlagen. Denn zu Potsdam wurde ja jenes Potsdamer Edikt unterschrieben, mit dem der Große Kurfürst 1685 seine in Frankreich drangsalierten Glaubensbrüder einlud, in den „kurfürstlichen Staaten" ihres Glaubens und - dies natürlich auch! - Gewerbe- und sonstigen tüchtigen Fleißes zu leben. So wäre also Potsdam die ehrenreichste, die erstgeborene unter den französischen Gemeinden in unserem Lande?

Nein, man weiß es: dem ist nicht so. Sondern es ist so wie bei jenem Erstgeburtssegen, den der Erzvater Isaak zu vergeben hatte. Den hatte, wie Kenner der biblischen Geschichten wissen, der listige Jakob sich erschlichen, und für Esau, den Erstgeborenen, blieb nicht viel übrig. „Ich habe ihn zum Herrn über dich gesetzt", mußte der Erzvater gestehen. „Siehe, du wirst wohnen ohne Fettigkeit der Erde, von deinem Schwerte wirst du dich nähren."

Und damit sind wir bereits bei den Leuten, ohne die die Gründung einer Französischen Gemeinde oder, wie man damals sagte: Kirche nicht zustandegekommen wäre. Im Jahre 1723 nämlich riet der sparsame Soldatenkönig Friedrich Wilhelm seinen in den Ruhestand getretenen Offizieren französischer Abstammung, ihre Pension lieber in Potsdam zu verzehren; da sei es billiger zu leben, „se fixer dans cette ville, dont le séjour agréable et moins coûteux que celui de Berlin", wie es in reizendem Französisch unsere kleine Denkschrift (Mémoire Historique) von 1785 ausdrückt: „sich festzusetzen in dieser Stadt, wo der Aufenthalt angenehm und weniger kostspielig als in Berlin".

So kamen sie denn, die sich, wie dem Esau geheißen, vom Schwerte genährt hatten, um mit ihrer zweifellos nicht üppigen Pension wenigstens in Potsdam auszukommen, 27 Offiziere mit ihren Familien. Mit ihnen nun kam man damals zu einer Gemeinde mit nunmehr etwa 200 Seelen, eines eigenen Pfarrers würdig groß. Die von uns erwähnte kleine Denkschrift indessen ist dem Thema nach zwar der französischen Gemeinde von Potsdam gewidmet, aber zum 100. Jahrestag „du Jubilé du Refuge", des Edikts also, erschienen. Man wußte, was man sich als Gemeinde der Stadt des Edikts schuldig war.

 

1723

Nun also: 1723. Das bedeutete 50 Jahre später als die Gründung in Berlin. Immerhin gab es zu Potsdam bereits Christen reformierten Bekenntnisses und seit 1662 einen reformierten Prediger für Christenmenschen deutscher (und holländischer) Zunge, den der Große Kurfürst bestallt hatte; an den hatten sich unsere ersten Franzosen in Potsdam notgedrungen zu halten. - Unter dem „Soldatenkönig" wuchs die Stadt; 1722 wurden die reformierten Gottesdienste der Franzosen von der Schloßkapelle in die neue Garnisonkirche verlegt. Die neue Heiligengeistkirche diente, sparsamerweise, gleich drei Zwecken: der lutherischen Parochie, den Reformierten deutscher Zunge der ganzen Stadt und mit eingemauerten Haltehaken den anlegenden Havelschiffen. Die „Französische Kirche", le nouveau Temple à la Place du Bassin, das Opus posthumum Knobelsdorffs, wurde erst 1753 bezogen. Aber so weit sind wir noch nicht. Denn wir müssen uns die Leute erst einmal ansehen, denen der Prediger Thomas le Cointe als Pastor zugewiesen wurde. Zu den 27 Offiziersfamilien, die durch ihr Kommen die königliche Hoffnung erfüllten, Potsdam könne gar nicht anders als anziehend wirken (ne pouvoit que les attirer), kamen die bereits ansässigen Offiziere und Personen von Stande (personnes de condition), von höfischem Stande nämlich. Dann Persönlichkeiten von bürgerlicher Beträchtlichkeit: Monsieur Théodore Didelot, der sich und die Seinen, worunter auch seine französischen Facharbeiter zu verstehen sind, durch die Herstellung von Knöpfen für Offiziersuniformen zu ernähren wußte; Monsieur Samuel Schock aus Basel mit seiner Tabakfabrik (Schnupf- und Rauch-), ein schweres Geld verdienender Exportfabrikant. Sein Name zählte, längst vor der Fernsehwerberei, in Raucher- und Schnupferkreisen des In- und Auslandes. 1742 brannte ihm seine Fabrik ab, ging also höchstselbst auch in Rauch auf. Die königliche Feuerkasse wollte ihm unter die Arme greifen; aber er lehnte ab, denn er hatte es selber und wußte, was er wußte. Denn Seine Majestät hatte die damals schon einträgliche Tabaksteuer in königliche Regie genommen; mußte aber, weil man der Fachleute nicht entraten kann, wenn man es zu etwas bringen will, Mr. Schock zum Direktor ernennen. Und Vater Schock ließ es sich nicht nehmen, als Direktor seinen Sohn zum Unter-Direktor (Sous-Directeur) zu bestellen. Und dabei haben es die beiden gewandten Schweizer - so meldet die kleine Denkschrift - darüber hinaus noch verstanden, das Wohlwollen der Majestät auf Kind und Kindeskinder zu lenken.

Man muß aber nicht meinen, daß es in unserer jungen französischen Gemeinde mit französischer Courtoisie zugegangen wäre. Wir werden gleich berichten, wie sie sich gekracht haben, müssen aber unsere Vorstellung noch abrunden. Die Brüder de la Rouviére widmeten sich erfolgreich der Anpflanzung von Maulbeerbäumen zum Zwecke der Gewinnung von Seide, deren Ausgangsgespinst uns von den Seidenwürmern vermittelt wird, indem diese sich von Maulbeerlaub ernähren, ehe sie sich verpuppend in Kokons einspinnen. Auf die Verarbeitung der Seide wiederum verstanden sich vornehmlich die aus Frankreich gekommenen Fachhandwerker. Der Pflanzplatz hieß in unserer Stadt lange „Plantage" und ist in den letzten Jahren zu einem Parkplatz umgewandelt worden mit Aufenthaltsgelegenheiten für Spaziergänger und spielende Kinder. Unweit dieser Stelle ragt zwischen modernen Bauten, deren Architekten es vornehmlich mit der Rechtwinkligkeit gehalten, ganz unmotiviert ein barockes Portal empor. Unser Pierre Gayette hat es gebaut, Capitaine Ingenieur (also: Hauptmann der Pioniertruppen) und Direktor der königlichen Bauten, damit es einen höchst nüchternen Exerzierschuppen beschönige. Derselbe hat sich auch die Stadterweiterung angelegen sein lassen, jene Kreuz- und Querstraßen der jetzigen Potsdamer City östlich des Brandenburger Tores.

Erwähnt werden müssen nun aber endlich auch die Damen und Herren, die damals im Dienste Seiner Majestät und des zu Potsdam residierenden Hofes beschäftigt waren, die Herren Laspeyres und de Perrot, beides Geheime Kabinettsräte, Mr. de Gaultier, der Prinzenerzieher; dann die Groß- oder Oberhofmeisterin (Grand Maitresse de la Cour) der Prinzessin; Madame la Douairiére (d.i. „hochwohlgeborene") Baronin von Keith geb. von Kniphausen. Wir erwähnen mit ihr die erste jener vielen Persönlichkeiten deutscher Abstammung und von Stande, die sich zu unserer französischen Gemeinde hielten. Das haben im Potsdamer Hohenzollerngefolge noch viele deutschen Herkommens getan.

Zu den ersten gehörte auch Mr. Henri Charles de la Motte Fouqué, der soeben das Rittergut Sacrow „eine Viertelmeile von Potsdam", erworben hatte. Mit seinem Nachkommen Friedrich sollte dieser Hugenottenname aus Potsdam in die deutsche Literaturgeschichte eingehen; die zu Berlin haben den Fontane, „unsern Theodor". Undine und Effie Briest!

Thomas Le Cointe hielt für uns erstmals Gottesdienst am 11. Juli jenes Jahres 1723, dessen wir also nach 250 Jahren treulich gedenken; es geschah in jener Schloßkapelle, in der sich die kleine französische Gemeinde schon vorher öfter versammelt hatte. Wann das aber wirklich zum erstenmal, unter freundlicher Mitwirkung eines Predigers der Eglise Française de Berlin, geschehen, ist nicht mehr auszumachen, da unsere Kirchenbücher erst im nämlichen Jahre 1723 beginnen, das Protokollbuch gar erst 1736. Als dann am 1. August, also drei Wochen später, auch die Gelder für den Kantor und Schulmeister - es handelte sich um 100 Reichstaler jährlich - und 30 für den Küster angewiesen waren, war die Gemeinde, man möchte sagen: „auf eigene Füße gestellt". Aber ganz genau stimmt das nicht. Sie war durch Kabinettsordre entstanden, und Le Cointe korrespondierte unmittelbar mit dem Hofe, ohne behördliche Zwischenstationen kirchlicher Bürokratie. Für den ersten Gottesdienst, an dem der König und der ganze Hofstaat teilnahm, hatte er auch 50 Personen aus Berlin eingeladen, „die man veranlassen sollte", schrieb er dem König, „sich in Potsdam niederzulassen", zu Nutz der Residenz natürlich, aber eben auch der jungen Gemeinde. In der Tat wurde bereits 1735 ein zweiter Pastor bestellt, Charles Frédéric Ruynat. Diese Stelle war aber bedeutend karger dotiert und ging 1815 in den Zeiten der Verarmung nach den Kriegen ein.

Aller Anfang ist bekanntlich schwer. Und hier müssen wir zwei Übereinstimmungen mit den Geschichten Esaus hervorheben. Die sonderbare Zusammenstellung unserer Gemeinde aus allerlei Personen von verschiedenem Rang und Stande mußte Spannungen hervorrufen. Man bedenke: einerseits Leute bei Hofe und Fabrikanten, Geschäftsleute also, von Berufs wegen alle zu angenehmen Umgangsformen angehalten, andererseits Stabsoffiziere, die gewohnt waren zu befehlen und sich direkt auszudrücken, in der Kunst des Dialogs und zurückhaltender Redeweise weniger geübt. Die hatten sich vom Schwerte genährt wie Esau, der Rauhe und Rauhhaarige, und hatten Haare auf den Zähnen, wie man so sagt. Der Ranghöchste bei den Unseren, der Oberst Théodore Coutet de Grangeroux, bekam Krach mit Pastor Le Cointe, der, zu Dieppe in der Normandie geboren, sich die schwierige Kompromißlosigkeit seines Stammes bis ins hohe Alter hinein zu bewahren wußte. (Er starb mit 93 Jahren, in völliger geistiger Frische - behauptet jedenfalls die neun Jahre später erschienene kleine Denkschrift seines zweiten Nachfolgers, Jean George Erman.) Wir wissen davon und von anderem Klatsch und Tratsch aus den Protokollbüchern. „La Compagnie", womit ganz unmilitärisch das Consistoire, später Presbyterium genannt, gemeint ist, hatte sich mit mancherlei sündhaften Vorkommnissen zu befassen, und die Sünder, wie Sünder zu sein pflegen, ließen sich nur höchst ungern was sagen. Selbst der Küster, der erste bei uns namens de Roche, mußte entlassen werden, weil er zu gern einen über den Durst trank. Der Entlassene wurde von König Friedrich Wilhelm, einem der im Detail sorgfältigst regierenden Monarchen, durch höchst eigenhändige Unterschrift mit Siegel an die Luft gesetzt. Wir ersehen aber daraus, wie sehr die Gemeinde mit der Krone verbunden war, im Guten und im Bösen. Und auch, daß die großen Zeiten der Glaubenstreue und des lauteren Lebenswandels der Väter, die in Frankreich so vorbildlich gelitten, längst vorbei waren. Vertane Erstgeburt des Esau!

 

Der Vergleich mit Berlin

Hier muß nun der Vergleich mit Berlin eingefügt werden, wo man sich des Erstgeburtssegens versichert hatte. Die Gründung zu Berlin geht auf den Grafen d'Espense zurück; der Kurfürst genehmigte sie und ließ Förderung angedeihen, nach 13 Jahren sehr nachdrücklich und ausführlich durch das Potsdamer Edikt. So kam es zu der ansehnlichen und zu Berühmtheit gelangten Bereicherung des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in Berlin; und in König Friedrich 1. hatte man einen Monarchen, der Sinn für Glanz und Wohlansehnlichkeit hatte. Aber unter seinem sparsamen Nachfolger wurde das ganz anders. Die zu Berlin hatten Glück gehabt; das damals immer noch vom Dreißig-jährigen Krieg verarmte und menschenleere Land des Kurfürsten war dankbar für alles Aufbauende, für die Gründungen produktiver Manufakturen, für den Fleiß gehobenen Handwerks in den Werkstätten, für die Hebung der Bildung. Und die nun diesen Segen erschlossen, blieben selbst nicht ungesegnet, wie denn nur zum Segen werden kann, wer selber gesegnet wurde. 1772, nach genau 100 Jahren, führten sie in einer Jubiläumsschrift auf, was sie alles an Anstalten für das öffentliche Wohl unterhielten, vom Waisenhaus bis zum Altersheim (gleich zwei davon!), von der Klippschule bis zum Seminar, „par une sage oeconomie", durch kluge Geschäftsgebarung, hieß es ausdrücklich.

Von den ihm zu üppig scheinenden Ergebnissen der sage oeconomie wollte Friedrich Wilhelm nichts wissen; überdies wußte er nichts von sage oeconomie, denn er verwechselte sie mit Sparsamkeit. Seine Sparsamkeit drosselte das Wirtschaftsleben, dem er doch durch eben diese Sparsamkeit soviel abgewinnen wollte. Das Wirtschaftsleben erlahmte, eine unerträgliche Atmosphäre von Unlust und Unsicherheit erstickte allen Schwung. „Siehe, du wirst wohnen ohne Fettigkeit der Erde", dieses für Esau übriggebliebene Vatersegenswort bezeichnet, die Lage unserer Potsdamer, da sie zu einer unguten Zeit ihre Gemeindegründung in Szene setzten.

 

Loyal, aber nicht servil

Just als Potsdamer hätten sie sich auf das Potsdamer Edikt berufen sollen; denn die lieben Ahnen waren ja nicht ins Refuge gegangen, um aus eines harten Monarchen Hand in die eines anderen zu geraten, der sich nicht scheute, den Stock zum Szepter zu erheben. Das Berliner Consistoire ist es gewesen, das zur Feder griff, um dem König „loyal, aber nicht servil" (so Fontane präzis über die Hugenotten) zu bedeuten, als freie Leute würden sie mit anderen zusammen ihren Stab anderswohin setzen. In der Tat war dergleichen bereits im Gange; und daraus sind dann die französischen Gemeinden zu St. Petersburg, vom Zaren Peter dem Großen freundlicherweise als „Fenster zum Westen" programmiert, und zu Fredericia nahe Kopenhagen entstanden; und selbst das sonst so auf Luthertum bedachte Sachsen erwies gastlichen Sinn für die armen Hugenotten im Brandenburgischen. Verbürgt aus jenen mißlichen Tagen ist, daß der dänische Gesandte in der Stadt Brandenburg die meisten Hugenotten gewinnen konnte, mit ihm gen Norden zu ziehen; unterwegs haben sie dann aus der Uckermark noch etliche hugenottische Tabakpflanzer mitgenommen.

Da lenkte der König ein Er war eben doch ein König, der die Größe hatte, einen Fehler einzugestehen, nicht von der rechthaberischen Unart kleinkarierter Leute. Zu diesem Einlenkungsprozeß gehört auch die gnädige Gewährung einer eigenständigen französischen Gemeinde in unserem Potsdam. Zu einer blühenden Manufakturstadt ist die Stadt freilich deshalb nicht geworden.

Dies also über die sonderbaren Anfänge im Zeichen des Esausegens. Man hätte nicht meinen - mögen, daß daraus etwas werden konnte, dessen man nach 250 Jahren noch zu gedenken Ursache gehabt hätte. Die kleine Restgemeinde zu Brandenburg wurde keine hundert Jahre alt; die im gleichen Jahre 1723 zu Stettin gegründete französische Gemeinde - mit königlichen Privilegien als Trutz und Schutz gegen den Widerstand des ansässigen Kaufmannspatriziats gegründet - ist Geschichte, ein Opfer der Geschichte geworden.

 

Die Pastoren

Unser dankbares Erstaunen wird aber noch größer, wenn wir uns die Personen ansehen, von denen nach menschlichem Ermessen und Meinen das Wohlergehen einer Gemeinde abhängt. Die Pastoren also. Man könnte nur mit Herzklopfen über das Weiterbestehen der Gemeinde berichten, wenn sich nicht das Consistoire der Gemeinde als der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht erwiesen hätte. Es steht dafür, daß in unserer Gemeinde immer wieder christlicher Glaube unserer besonderen Prägung gelebt und bekannt worden ist, da die Gemeinde Männer in ihre Vertretung entsenden konnte, die wußten, was ihnen anvertraut war. Zum Beispiel die von den Vätern überkommene Gottesdienstordnung. Hier hatte Le Cointe, wohl mit Rücksicht auf die Gottesfreunde deutscher Nation in dieser Stadt, Abänderungen vorgenommen. Die Presbyter sprachen beim König vor, und der bestimmte, es solle genau so sein wie in Berlin. Man muß wissen, daß sie sich damit gegen einen Seelsorger auflehnten, der es bis ins französische Oberconsistorium gebracht hatte, als Inspekteur der französischen Kirchen gar!

Daß Le Cointe es nicht mit der pastörlichen Milde hielt, war freilich nicht durch königliche Erlasse abzuändern. Bezeichnend - leider - ist auch Aufstieg und Abgang des ersten Inhabers der zweiten Pfarrstelle, Charles Ruynat, 1735 berufen. Er hatte Krach, die dazukommenden Handgreiflichkeiten hätten vor ein Zivilgericht gehört, wurden aber durch das Oberconsistorium geregelt: Ruynat wurde nach Magdeburg versetzt, aus dem einst Le Cointe berufen worden. Sein Nachfolger wurde Guillaume Pelet. Der wurde schließlich kindisch, wollte aber aufs Predigen nicht verzichten und mußte mit Gewalt von der Kanzel geholt und in den Ruhestand versetzt werden.

Nun tritt in unserer Geschichte Jean George Erman auf, Sohn des berühmten Vaters, Verfasser der einzigen Denkschrift unserer Gemeinde. Es fing so gut mit ihm an, wie Liebesglück, das dem Hochzeiten vorangeht. Nun, er heiratete auch, 1804 noch ein zweites Mal, ein überaus junges Mädchen, nach langen Jahren selbstlosen eifrigen Wirkens. Denn 1783 hatte ihn sein Vater, der Mitverfasser des großen neunbändigen Werkes, der „Memoires pour servir à l'Histoire des Réfugiés Français dans les Etats du Roi", als zunächst 2. Pfarrer eingeführt. 1785 rückte er in die besser dotierte 1. Pfarrstelle vor und beschenkte die Gemeinde mit der kleinen Denkschrift; ein überaus höfliches Vorwort an die Messieurs les Chefs de Famille de 1'Eglise de Potsdam ist von überströmender dankbarer Verbundenheit. Er hatte zum Festgottesdienst dieses Jahres gepredigt; die Prinzen Friedrich und Louis waren mit unter dem „zahlreichen und brillanten Auditorium aus Personen erster Distinktion". So war es wohl öfter, so daß er beantragte, die französische Sprache im Gottesdienst durch die deutsche abzulösen. (Aber erst im Januar 1870 hat man auf den Gebrauch des Französischen endgültig verzichtet.) Vorerst, ab 1801, wurden die Nachmittagsgottesdienste (und viermal im Jahr auch vormittags) in deutscher Sprache gehalten. Zu seiner Zeit wurden der Gemeinde zwei Häuser des Holländischen Viertels, am Nordrande des Bassin, von dem genüßlichen königlichen Sünder Friedrich Wilhelm II. geschenkt; hier wurde Grundschule in französischer Sprache gehalten, für Kinder deutscher Geburt gegen ein geringes Entgelt: bis 1870 die einzige Volksschule mit Französisch - auch dies eine Besonderheit, die die Geschichte gerade unserer Gemeinde so apart macht, so interessant.

Ein finsteres Geheimnis nun ist um den Tod dieses verdienstvollen Trägers eines durch Generationen berühmt gewesenen Namens. 14 Tage nach seiner Hochzeit mit dem Fräulein Sello (aus der berühmten Hofgärtnersfamilie) stürzte er sich in die Havel, wurde herausgezogen, stellte sich predigend wieder auf die Kanzel, und die Gemeinde hatte die große geistliche Reife, ihn, gleich allen anderen Kindern Adams, als begnadeten Sünder zu ertragen (tolerieren!) und sein auslegendes Wort anzunehmen. Aber der König, dem ja die Gemeinde von Anbeginn unmittelbar – „immediat der Krone" - zugeordnet war, wollte den unselig Umwölkten auf den stillen Posten eines Bibliothekars zur Heilung seiner „nervösen Apoplexie" strafversetzen. Dazu ist es aber nicht mehr gekommen, denn bei einem zweiten Versuch schied unser Pastor Erman endgültig aus diesem Leben, der dritte also, der in Umnachtung von uns ging.

In unseren Tagen, da dieses nun neu erzählt wird, muß man sich nun freilich hüten, in verdächtiger Eilfertigkeit von Wundern zu reden, wenn trotz der drei oder vier wunderlichen Prediger im ersten Jahrhundert unseres Bestehens die Gemeinde wunderbarerweise weiterbestand. Man kann das auch gemäß der Nüchternheit, der wir kraft unseres geistlichen Erbes verpflichtet sind, erklären. Als reformierte Gemeinde waren wir nie eine Pastorenkirche; unsere Discipline Ecclésiastique von 1559 schließt kirchliche Hierarchie oder gar den Notstand des „Einmann-Systems" aus und ist für „mündige Gemeinden" geschrieben, die Jesus Christus allein als Haupt der Kirche kennen und bekennen und sich nach der Heiligen Schrift richten, „ohne Zusätze, Weglassungen noch Veränderungen". Dies bedeutet einen unmittelbareren Lebensumgang mit der Bibel ohne das Hindernisrennen durch die Förmlichkeiten eines liturgischen Stacheldrahtverhaus, wozu es dann ja eines liturgischen Fachmanns bedarf, der den Ton im Wechselspiel der Responsorien anzugeben hat. Dafür gilt nun aber, „daß jedes Glied willig und mit Freuden seine Gaben in den Dienst der anderen Glieder stellen soll" (Heidelberger Katechismus, Frage 55). Dies haben aber die Glieder der Gemeinde in jenen Tagen - und nicht nur damals! - getan. Der Glaube freilich wohnt in den Herzen; und ein Mensch sieht, was vor Augen ist, aber Gott allein sieht das Herz an (vgl. 1. Samuel 16, 7). Halten wir uns also an das, was vor Augen ist, so bietet sich das erfreuliche Bild, daß sie für das äußere Bestehen der Gemeinde sich willig und mit Freuden eingesetzt haben.

 

Äußerlichkeiten

Da unser Thema nicht Menschenruhm sein kann noch sein soll, werfen wir im folgenden einen Blick schlicht auf die Äußerlichkeiten, ohne die eine Kirche in dieser Welt nicht bestehen kann und auch nicht bestehen soll. Zunächst einige statistische Angaben: aus den 200 Seelen, denen Pastor Le Cointe diente, wurden schließlich 260, so daß man in Hoffnung auf weiteres Wachstum eine zweite Predigerstelle einrichtete. Zu tun hatten die beiden freilich, da jeden Sonntag je eine Predigt am Vormittag und am Nachmittag zu halten war - was in einer so aufs Wort bezogenen Kirche besondere Sorgfalt der Vorbereitung verlangt. Dazu die Ansprüche einer Zuhörerschaft, „personnes de la nation Allemande du premier ordre, Messieurs les Officiers de la Garnison et même les personnes Augustes de la maison Royale", also: „Personen der deutschen Nation vom ersten Range, die Herrn Offiziere der Garnison und selbst die erhabenen Personen des königlichen Hauses". Für die Personen minderer Stände indessen hatte man sich im seelsorgerlichen und mildtätigen Dienst wochenweise abgewechselt.

Jene Aufzählung von Personen, die wir Ermans kleiner Denkschrift entnahmen, ist aber der größere Teil eines Satzes, der mit den Worten endet: „...ont contribué aux aumônes", das ist: „haben beigetragen zu..." Nun, aumônes sind eigentlich „Almosen". Das Wort meint hier aber mehr, nämlich die Kirchenbeiträge überhaupt. Mit nicht zu überhörendem Vergnügen hatte Erman schon die namhaftesten Mitglieder der ersten Generation vorgestellt; das waren Leute, die waren was, die hatten was. Und nun noch auch Mr. de la Motte Fouqué, der sich das Rittergut Sacrow hatte kaufen können. Da hieß es ganz ungeniert: „...vaut á notre Eglise l'avantage de compton", unverblümt auf deutsch: „bedeutet unserer Kirche den Vorteil baren Geldes".

Nun geht es im Leben nicht immer so weiter, wie man sich das am Anfang hochgemut denkt. Aus den 260 Seelen wurden nicht mehr; und der Avantage de compton setzte sich nicht fort, in dieser Stadt nicht, in diesen Zeiten nicht, unter diesen Bedingungen nicht: Esaus dürftiger Erstgeburtssegen aus zweiter, matter Hand. Das Auf und Ab des Siebenjährigen Krieges zehrte am allgemeinen Wohlstand und ließ die Taler der Kirchenkasse nicht mehr werden. Wir denken heute anders über Leute, die Kriege beginnen, auch wenn sie königlichen Ranges und aus dem Zollernhause sind und in die Geschichte mit dem Zusatz „der Große" eingingen. Auch das geht vorüber, denn Geschichte wird immer wieder neu geschrieben. Und die Unseren hatten 1753 „le nouveau Temple situé près du bassin au quartier nommé Hoflandais", den neuen Tempel nahe dem Bassin am Holländischen Viertel bekommen, noch von dem seinem Tode entgegenwelkenden Knobelsdorff entworfen als verkleinerte Wiedergabe des römischen Pantheons, des „Allgöttertempels"; hier sollte es die Toleranz architektonisch dartun, jedermann könne nach seiner Fasson selig werden.

 

Das königliche Geschenk

Das königliche Geschenk, das sich freilich hernach als Danaergeschenk erwies, wie redlicherweise noch berichtet werden muß, bedeutete in der damals so ranglistengemäß geordneten Einwohnerschaft Potsdams ein beträchtlich Ansehen stiftendes und erhaltendes Dokument in Stein, und das an sichtbarer Stelle. Zwei in Stein gehauene allegorische Weibspersonen am Eingang, den Glauben mit Anker, die Barmherzigkeit mit Kinderchen darstellend, bedeuteten Vorübergehenden, hier habe der Glaube und die tätige Nächstenliebe gleiches Gewicht; aber „Bilder als der Laien Bücher" müßten draußen bleiben. So weit, so gut. Wer wollte da vier Jahre später gegen den königlichen Spender aufmucken und sagen, er habe den Krieg, nun schon den dritten, vom Zaune gebrochen und gleich nach mehreren Seiten hin? Das konnte doch nur schlimm enden. Nun, wir wissen es heute genauer („besser" mag man da gar nicht sagen) nach zwei Weltkriegen. Aber damals gehorchte man; man schwieg, man litt, bis wieder andere Zeiten ins Land kämen.

Und man hielt zusammen. Im sechsten Jahre jenes Siebenjährigen Krieges, der auch Mangel und Teuerung ins Land gebracht, machte das Presbyterium Schulden, um sechs der ärmsten Familien vier Brote wöchentlich kaufen zu können. Nach Kriegsende konnte man wieder mit größeren Einnahmen aus den Kollekten rechnen und zu Ersparnissen anlegen; wenn es sein mußte, groschenweise. Die Geschichte meldet, daß bei dem großen Festgottesdienst am 29. Oktober 1785 der Eintritt vier Groschen kostete. Es wurde allerdings auch einiges geboten, das über den gewöhnlichen gottesdienstlichen Rahmen hinausging. Eine eigens von einer Frau Reclam gedichtete und vom kronprinzlichen Musikmeister vertonte Kantate für Chor und zwei Solistinnen wurde aufgeführt; und man genierte sich nicht, die so verdienstvoll Beteiligten mit starkem Beifall zu belohnen! Der zu erwartende Besuch war so stark gewesen, daß man sich vom Stadtkommandanten eine Wache zur Aufrechterhaltung der Ordnung erbat: Man war eingebürgert in der Residenz- und Garnisonstadt.

Sichtbares Zeichen dafür die „Französische Kirche" am Bassin. Die königliche Gabe entging ebenfalls nicht dem Gesetz, das allen Bauten, zumal den prächtig erscheinenden, mit in die Wiege gelegt wird. (Der Ausdruck „Wiege" sei hier verstattet, obwohl von einem eigentlich „standfesten" Gebäude die Rede ist.) Es ist das beschwerliche Gesetz von den „Nachfolgearbeiten". Hier eine Zusammenstellung: 1770 zeigte die Kuppel erste Schäden; Putz fiel bedrohlich ab - genau wie gegenwärtig (1973). Ein Pfeiler hatte sich gesenkt. 83 Taler wurden vom Presbyter Huguenel, einem unter uns rühmenswerten Manne, ausgelegt und dann durch Sammlung aufgebracht. 1787 erwarb man eine Orgel für 325 Taler; aber 1789 regnete es durch die Kuppel durch, ausgerechnet am 30. September, an dem wir unsere 250-Jahr-Feier abhalten (bzw., da diese Rede sich hier inzwischen in Geschriebenes und Gedrucktes verwandelt hat: abhielten). Auch wurden damals, wohl das erstemal, die Scheiben eingeworfen. Für acht Groschen jährlich wurde ein Polizist gewonnen, sich sonntags vor der Kirchentür aufzustellen und auch zwischendurch in der Woche - wir würden heute sagen: Streife zu gehen. Um die Beseitigung der Bauschäden machte sich der Baumeister Manger verdient, nach dem heute noch eine Straße in Potsdam heißt, während die Schockstraße umbenannt worden ist.

Im Jahre 1803 fielen wieder Mörtelstücke aus der Kuppel, und das während des Gottesdienstes. Die Kirche mußte vorübergehend geschlossen bleiben. 1843 zeigte sich Schwamm in ihrer Holzverschalung; eine große Reparatur 1855 mußte ohne Baubeihilfe der öffentlichen Hand bezahlt werden, 1879 wieder eine Reparatur für 393 Taler. Erst 1884 war die Kirche wieder benutzbar, ähnlich auch 1929 nach einer längeren Reparatur.

Man könnte daher wohl von einem königlichen Danaergeschenk sprechen, denn die Kirche hatte es in sich wie das berühmt-berüchtigte Trojanische Pferd. Aber in unserer Spezialgeschichte eines Häufleins des Gottesvolkes hat alles auch noch eine andere Bedeutung. Erstlich wurde die Gemeinde durch die Bausorge um ihre Kirche immer wieder zu tätiger Besorgung angehalten; und auf diesem ihrem Ruhmesblättchen stehen auch die beachtlichen Namen von Manger, Schadow und Schinkel, der uns die jetzt noch vorhandene, von seinem Entwurf freilich leicht abweichende Kanzelwand entworfen hat. Zum anderen wurde sie, vorübergehend ihres Kirchengebäudes verlustig, genötigt, sich bei den anderen Gemeinden umzusehen. Vorher war man in der Schloßkapelle zu Gast gewesen und kurz vor Eröffnung der eigenen in der Garnisonkirche. Jetzt versammelte man sich (1803) vorübergehend bei den „mährischen Brüdern". Diese müssen entweder in Potsdam einen Versammlungssaal gehabt haben, (von dem nichts mehr auszumachen ist) oder es handelt sich wirklich und wahrhaftig um die Böhmischen Brüder im benachbarten Novawes, so daß also geschlossen werden müßte, daß die Unseren nur bei den reformierten Glaubensverwandten eine Bleibe fanden. Andererseits war aber die Nicolaigemeinde in unserer Kirche zu Gaste, als 1794 die alte (vor-Schinkelsche) Nicolaikirche abbrannte. Sie hatten es erst bei der Heiligengeistgemeinde versucht, eine friedliche und freundliche Bleibe zu finden. Aber auch als Gäste unserer Kirche entwickelten sie unerfreuliche Spannungen, und da sie gar laut gedacht haben, wissen wir, daß sie die Französische Kirche haben und behalten oder abreißen und an ihrer Stelle eine eigene größere bauen wollten! So um 1820 geschehen. Verständlich wird das einigermaßen, wenn man bedenkt, daß die französische Gemeinde in ihrem Bestand durch die schlimmen Zeitläufte sehr zurückgegangen war: man zählte etwa 160 Seelen, und die Zahl der Familienhäupter bei Wahlen von Pfarrern betrug um 40.

 

Geschichtlichen Erschütterungen

Nach Ermans Tod wählten von 43 Familienhäuptern 37 den Sohn des berühmten Kupferstechers und Anciens der Berliner französischen Kirche Chodowiecki, Isaac Henri (1805). Ein Jahr später sank der Glanz Preußens und Potsdams durch Napoleons Invasion in den Staub. Die dann folgenden geschichtlichen Erschütterungen ließen natürlich auch unsere Gemeinde nicht unberührt. Die Kirche wurde als Proviantlager beschlagnahmt; der Zwang der Kriegskontributionen leerte auch die Kirchenkassen, und die Pflichten der Liebe gegenüber den Minderbemittelten gingen über die Kräfte. 1809 wurde das Oberkonsistorium, Kirchenbehörde für die französischen Gemeinden, aufgelöst, ebenso auch im zivilen Bereich die Eigenverwaltung der „Colonien" mit eigenen Bürgermeistern und Richtern; die französische Sprache kam aus dem dienstlichen (aber noch nicht aus dem gottesdienstlichen) Gebrauch.

Nach dem Ende der Napoleonischen Fremdherrschaft, als nach den Befreiungskriegen Frieden eingekehrt war, war Gelegenheit gegeben, eine Bestandsaufnahme zu machen, wie sie der Geschichtsschreiber ohnehin an dieser Stelle einrücken müßte. Wir sind aber in der glücklichen Lage, dies durch einen Zeugen unserer Geschichte ausführen zu lassen, durch Isaac Henri Chodowiecki. Er hatte 1805 ein schweres Erbe übernommen, denn die Schatten seiner Vorgänger lagen gerade zu Potsdam auf dem Nachfolger im Dienste des heiligen Evangeliums, - „ministre du St. Evangile" nannte man sich damals. (Erman wurde übrigens, wie das Kirchenbuch ausweist, am 3. Mai 1805 durch seinen Amtsbruder Papin beigesetzt, als Todesursache des 44jährigen angegeben: „mort d'une apoplexie nerveuse".)

Ab 1806 hatte er mit unserer Gemeinde die schweren Zeiten durchzustehen, zunächst mit Papin an seiner Seite; aber im Friedensjahr 1815 ging Papin von ihm. 1817 fand die erste Synode französischer Gemeinden auf deutschem Boden statt, in sonderbarem Unterschied zu den Anfängen in der französischen Heimat, wo man im 16. Jahrhundert, ab 1559, tunlichst alljährlich zusammenkam, allen Gefahren und Erschwernissen zum Trotz. Für diese Synode hat er einen Bericht über die Verhältnisse in der Potsdamer Gemeinde angefertigt, der uns erhalten geblieben ist. Er lobt darin die Gemeinde. Aber sie ist fromm und hält auf gute Sitten, ohne daß sie zahlreich und regelmäßig die Gottesdienste besucht. Nur zu Taufen, Konfirmation und Trauungen läßt man sich den Dienst des Pastors gefallen. Da haben wir's: Das Ansehen des Predigtamtes hatte durch vier seiner Vorgänger schweren Schaden gelitten. Auch darf man nicht vergessen, daß Not und Leid von Kriegszeiten einem christlichen Glauben Abbruch tun, der sich als allgemeines Gottvertrauen mit den quälenden Tiefen der Anfechtung nicht auseinandergesetzt hat und verstummen muß, wenn man nach dem Unrecht der Napoleonischen Invasion, nach den Opfern der Befreiungskriege nichts anderes als Neuordnung zu schaffen weiß als die Restauration einer für abgelebt gehaltenen Ständeordnung, der ins Angesicht hinein doch die Heere Napoleons das hugenottische Evangelium von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit streitbar vorgetragen hatten.

 

Neubelebung

Als Nachfahren nun erkennen wir zwei Momente der Neubelebung unserer französischen Gemeinde zu Potsdam. Was unsern Isaac Henri Chodowiecki angeht, so war er wohl kein großer Kanzelredner gewesen. Seine Versuche, durch nachgehende Seelsorge die Gemeindeglieder zu regelmäßigem Kirchgang zu ermuntern, sind, wie er in seinem Bericht bitter feststellt, ohne Erfolg geblieben. Dafür sollte aber mit seinem Nachfolger Johann Abraham Lorenz (eigentlich Lorent) ab 1831 die Stimme des lieben Evangeliums auf unserer Schinkelkanzel so quicklebendig werden, daß „viel Volks ihn gern hörte". Lorents Wirksamkeit gehört zur Epoche jener Erweckung, die damals in Europa viel Segen stiftete, vor allem in England, von dort aus auch nach Frankreich wirkend; während Chodowiecki noch ein Sohn der späten Aufklärung war, die meinte, Aufgeklärtheit auf Kosten christlicher Glaubenssubstanz betreiben zu müssen. Uns ist das Votum eines Jüngeren überliefert, Chodowiecki sei gar nicht richtigen christlichen Glaubens gewesen! Nun, jüngere Leute wissen es ja immer besser; und wenn geistlicher Hochmut der allzu Frommen das Wort nimmt, kommt es zu solchen Verunglimpfungen. - Wir hoffen indessen unseren Vorgänger Chodowiecki nicht zu verunglimpfen, wenn wir ihn hier mit seinem Nachfolger vergleichen. Greifen wir gleich an dieser Stelle weiter ins 19. Jahrhundert vor, so sind wir bei Lorents beiden Nachfolgern besser daran; 1853 folgte ihm der ansehnliche Wilhelm Coulon, diesem 1892 Clemens Bassenge, der bis 1925 unserer Gemeinde so diente, daß etliche noch unter uns Heutigen sich dankbar seiner erinnern. Das zweite Moment der Neubelebung erkennen wir darin, daß durch die Einführung der Bekenntnisunion in Preußen Lutheraner und Reformierte sich neu darauf zu besinnen hatten, was ihr Bekenntnisstand sei und was nicht, was man gemeinsam bekennen könne und was nicht. Unsern Vätern vor 150 Jahren war es nun aber verwehrt, dergleichen in vornehmer akademischer Kühle oder brüderlichem Zuhören zu verhandeln. Denn die Unionssache war durch Befehl von oben „angeordnet", erst 1816 für die Garnisonkirche in Potsdam. Dann, nach vollbrachtem soldatischem Gehorsam auch in Glaubensdingen, auch für den zivilen Sektor. Lutherische Gemeinden, die die Union mit uns Reformierten scheuten, wurden mit Militärgewalt genötigt; ein General v. Witzleben war der fatale Evangelimann. Am Ende aber bildete sich eine Lutherische Freikirche, gut altlutherische Gemeinden. Sie sind auch im heutigen Potsdam vertreten, nicht aber in jenem Ökumenischen Arbeitskreis, in dem wir gute Nachbarschaft mit katholischen und anderen Christen halten, die nun brüderlich sich mit uns unseres Jubiläums freuen.

Andererseits gingen reformierte Gemeinden mit Freuden in die Union ein und - unter. Mit unseren französischen Gemeinden aber hatte es da seinen Haken, eben: den französischen, einen sehr durablen, aus gutem Material. Denn die französischen Gemeinden waren immer zugleich eine Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe. Wer dazu gehörte, durfte in Notzeiten auf materielle Hilfe rechnen; und wer von deutscher Abstammung sich um Aufnahme bei uns bewarb, mußte unterschreiben, daß er für die nächsten Jahre keine derartigen Ansprüche an die Gemeinde stellen werde. Karl Manoury hat oft formuliert: „Wenn wir reformiert bleiben wollen müssen wir französisch-reformiert bleiben!"

Lorenz, durch den die Französische Kirche am Bassin, seit dem 3. August 1834 wieder vollständig benutzbar, sehr viel Zulauf erhielt, war darauf bedacht, die Zahl der Mitglieder durch Neuaufnahmen zu mehren. Zugleich nahm er Kurs auf die Liturgie unionistischer Form. Hier machte die Gemeinde aber nicht mit, die sich auch in dieser Generation als der eigentliche tragende Grund erwies, und das angesichts eines attraktiven Kanzelredners. Und mit den Neuaufnahmen überhaupt hatte es ja seine finanziellen Rechtsprobleme. Immerhin zeigen die Kirchenbücher, die Lorenz jeweils als 2. Band für Taufen, Trauungen und Beerdigungen 1834 neu begann, eine Fülle deutscher Namen. Wie auch in Berlin galt es in Potsdam als chic, sich von einer Kirche zu Festlichkeiten betreuen zu lassen, die dem Königshause so nahe stand, obwohl man nicht Mitglied war (So hat Théodore Fontane, obwohl in der Klosterkirche konfirmiert, als 60jähriger seine Aufnahme in die Französische Kirche ausdrücklich beantragen müssen, weil er nicht in Berlin geboren und getauft war) Gelegentlich eines von der französischen Kreissynode angeforderten Berichts meldete Pastor Lorenz, er habe 47 Konfirmanden, davon aber nur acht aus der französischen Gemeinde.

So lebte unsere Gemeinde in der Residenzstadt Potsdam ein etabliertes Dasein. Überliefert ist, daß Lorenz 1840 an einem Diner im Schlosse teilnahm, wobei zwölf Gänge gereicht wurden, dazu die erlesenen Getränke. Man war eben hoffähig. Die Welt der sozialen Probleme damals lag weit ab. Aus dem Jahre 1848 findet sich nur die Notiz, daß wegen der Unruhen eine Kanalbrücke unpassierbar geworden sei - für die Gottesdienstbesucher. 1874 sollten die Pastoren der Kirchenleitung melden, was sie gegen Holz- und Felddiebstähle tun könnten. Coulon berichtete im gleichen Jahre, die konfirmierte Jugend sei nicht zu sammeln, weil die Lehrherrn sie bis zum Schlafengehen beschäftigt hielten. Seinem Nachfolger Bassenge gelang es dann doch, die Liturgie zu verändern, indem die Verse „Aus tiefer Not" und „Allein Gott in der Höh' sei Her" als Responsorien der Gemeinde eingefügt wurden. Manoury hat das (in seiner Darstellung der Geschichte unserer Gemeinde) zwar bemängelt, aber nicht verändert. Mit Billigung der Gemeinde werden gegenwärtig oft diese Verse durch andere ähnlichen Inhaltes abgelöst. Damals wurde der Gottesdienst recht pfleglich behandelt. Da das Rasseln der Kutschen auf dem Kopfsteinpflaster sehr störte, hatte ein Polizist während des Gottesdienstes die Fuhrwerke zu langsamem Fahren anzuhalten. Zu Coulon als Modeprediger kamen die feinen Leute in ihren Equipagen. Die Kirche machte immer wieder bauliche Pflegearbeiten erforderlich. Den sparsamen preußischen Behörden wurde das oftmals zu teuer; aber bei Hofe tat man dann niemals eine Fehlbitte. Kam sie doch von einer Gemeinde, die kurioserweise den Hohenzollernadler im Kirchensiegel führt, der, als Symbol des Glaubens gedacht, „nec soli cedit", „nicht einmal der Sonne weicht".

 

Auf eigenen Füßen

Über diese festgefügte, allzu festgefügte Welt ist dann die Heimsuchung des Weltkrieges gekommen. Man richtete Betgottesdienste ein, deren Besuch in den langen Kriegsjahren dann erlahmte. Was man im deutsch-französischen Kriege 1870/71 nicht für nötig befunden hatte - der letzte Gottesdienst in französischer Sprache war vor Ausbruch jenes Krieges, im März 1870 -, jetzt hielt man es für geboten, sich Französisch-reformierte, nicht einfach Französische Kirche zu nennen. Das Refugefest ging unter der Bezeichnung „Hohenzollernfeier". Forderungen gingen um, unsere Mitglieder mit französischen Namen einzusperren.

Nach dem Zusammenbruch meinten viele, mit dem Kaiserreich sei es auch mit der Kirche zu Ende. Aber die Schwierigkeiten waren nur äußerer Art. 1923 zur 200-Jahrfeier stellte man fest: guter Besuch der Gottesdienste, geordnetes Familienleben in den Häusern, Anhänglichkeit der Jugend. Nach der Inflation gelang es, zuerst sogar mit Spenden aus Holland, Zug um Zug die Kirche zu renovieren. Ein Festgottesdienst zu ihrer völligen Wiederherstellung einschließlich der Orgel konnte aber erst für Ende 1929 angesetzt werden. Inzwischen behalf man sich mit dem Konfirmandensaal, bei größeren Veranstaltungen versammelte sich die Gemeinde im kleinen Saal der Nikolaigemeinde oder im Friedenssaal.

Der Festgottesdienst zur 200-Jahrfeier 1923 hatte am 22. Juni Ansprachen der Herrn Bassenge und Coulon gehabt, den historischen Festvortrag von Prof. Kania, dem bekannten Potsdamer Historiographen der Nachkriegszeit; und der „Landgrebesche Chor" hatte gesungen, womit wir vier Namen nennen, die in Potsdam lange in hohem Ansehen gestanden. Das Presbyterium, so laut Protokollbuch, genehmigte nun fast in jeder Sitzung in jenen Jahren Aufnahmegesuche, so daß man jetzt wohl feststellen kann, aus der Französischen Gemeinde, die in nationalistischer Zeit zu einer „französisch-reformierten" umgenannt worden war, entwickelte sich eine reformierte Gemeinde, die freilich ihre französischen Bekenntnisschriften nicht verleugnete, ihre Refuge-Geschichte nicht vergaß. Noch 1923, am 16. Februar, hatte man den Geburtstag des Großen Kurfürsten gefeiert, war aber am 22. Juni ohne Hohenzollernbesuch ausgekommen - jedenfalls wird davon in den zu Rate gezogenen Dokumentationen nichts erwähnt. Man stand auf eigenen Füßen.

Wie sehr, das sollte sich gelegentlich streitbar zeigen. Denn es galt nun, die Pfarrstelle neu zu besetzen. Schon 1923, unter dem 14.10., war dem „E. Konsistorium der Mark Brandenburg" mitgeteilt worden, „daß die französisch-reformierte Gemeinde auf Grund der discipline des églises réformées de France durch das Presbyterium vertreten wird, das schriftliche Erklärungen mit den Unterschriften des Pfarrers als modérateur und eines Ältesten als secrétaire rechtsverbindlich abgibt." Da wollte doch 1927 gelegentlich der Neubesetzung dieser Generalsuperintendent der Kurmark, Dibelius sein Name, die Betreuung unserer Gemeinde mit der Tätigkeit eines „Wochenendpfarrers", Mehlhase sein Name, kombinieren. Da beschloß - wir zitieren unser Protokollbuch weiterhin wörtlich – „die Familienväterversammlung einstimmig, den sofortigen gemeinsamen Antrag mit Berlin, lautend auf Verbindung mit der Gemeinde (mit Berlin Anm. d. Red.) im Sinne des Beschlusses vom 3.10.27 abgehen zu lassen. Zur Signierung des Antrages werden aus den Familienvätern Herr Gau, Adolf Cordier und Violet jun. bestimmt".

Kraft dieser kräftigen Esausprache, vermacht den Unseren aus den Tagen des Obristen Grangeroux und des unbeugsamen Predigers Le Cointe setzte sich durch, was die drei Familienväter als „Laien" signiert hatten. Und so konnte unserem Joseph Chambon am 28. April 1927 das Siegel übergeben werden, dem geistvollen, schriftstellerisch hervorgetretenen Manne. Er kränkelte schon damals, obwohl er nach seinem Weggang noch viele Jahre leben sollte. Aber wir müssen es - bei aller Verehrung für seine schriftstellerischen Hervorbringungen - unsererseits bringen, daß er klagte: nach Berlin war es ihm zu weit, zu umständlich; an der Wohnung, nun doch im historischen Holländischen Viertel unserer Stadt gelegen, verträumter Garten hinten, luftreicher Bassinplatz vorn, hatte er viel auszusetzen - aber feinnervige Leute sind nun mal so. Die Unseren freilich hatten Nerven, die dem Esau-Erbe gemäß waren, und machten ihn darauf aufmerksam, daß er eine Dienstwohnung innehabe, die für seinen Nachfolger gebraucht werde. Er hat das Protokoll selbst unterschreiben müssen.

 

Das Reich der Finsternis

Bewegten Herzens nennen wir seinen Nachfolger: Karl Manoury. Denn die Hand, die diesen Bericht zu Papier gebracht, hat oft seine Hand gedrückt. Aber lassen wir lieber die Geschichte sprechen.

Man schreibt das Jahr 1935; man schreibt den 30.0ktober Einen Tag zuvor hat man datumsgenau des 250-jährigen Jubiläums des Potsdamer Edikts in Berlin gedacht. Nun ist in Potsdam, der Stadt dieses Edikts, ein Festgottesdienst in unserer Französischen Kirche, deren Orgel den Unseren, Protokollseiten füllend, gar manche Überlegung abgenötigt. Aber nun weiß man, daß man nicht vergebens und sinnlos über die Kosten diskutiert hat. Die aus Berlin sind gekommen. Und siehe, der Kronprinz, dessen längliches Gesicht mittels mancher Potsdamer Bürgerstochter auf Potsdamer Straßen in fataler, aber eben prinzlicher Ähnlichkeit wiederzufinden, ist auch bei der heiligen Feier, in schwarzem Husarenlook, weshalb ihn unser Dr. Bonte im Frack und mit vielen Orden zur Fürstenloge geleitet, („da er als ehemaliger Admiralsarzt mit solchen feierlichen Angelegenheiten am besten Bescheid wußte" bemerkt Karl Manoury in der ihm eigenen trockenen Art). Und Karl Manoury hielt die Predigt. Sie muß - wir sind da auf Vermutungen angewiesen - eher normandisch concis als französisch conciliant gewesen sein. Denn uns sind einige Zettel, die gedruckte „Gottesdienstordnung" wiedergebend, erhalten geblieben. Da sang also eingangs ein Chor eine Nachdichtung des 100. Psalms. („Jauchzet dem Herrn alle Welt") Der Pfarrer: Psalm 142, die Gemeinde: „Aus tiefer Not", das ist: Psalm 130. Der Pfarrer: Psalm 146, dann Psalm 84. Nichts als das Alte Testament. Und draußen nichts als Antisemitischer Satan, so daß von der Obrigkeit niemand erschienen war - im Gegensatz zum Berliner Jubiläumsaufwand einen Tag vorher. Aber auch der Gottesdienst in Berlin hatte gar sehr aus dem Alten Testament geschöpft; über das Psalmensingen hinaus hatte er unserer Potsdamer „Lithurgie" (seit Calvins Zeiten bei uns tatsächlich mit „th") noch die Verlesung der Gebote voraus: „der ich dich aus Ägyptenland, dem Diensthause..."; „Gedenke des Sabbattages...". Liturgisches Urgestein aus Gottes eigenem Wort. ohne den Zierat mit Fragmenten aus der Römischen Meßliturgie!

Nun müssen wir das Jahr 1939 schreiben, eine der schwärzesten Jahreszahlen der Weltgeschichte, aber auch in der Lebens- und Sterbegeschichte vieler Einzelner. Und so auch in der Geschichte der Hugenotten. Denn mit diesem Jahre verwandelte sich das Land des Refuges endgültig in das Reich der Finsternis und der Höllenfahrt. Zuletzt bekam auch unsere Stadt Potsdam, mit deren Namen man bündigerweise schlimme Assoziationen verbindet, ihr Teil, erst durch den Luftangriff am 14. April 1945 und dann durch des Krieges bitteres Ende, worunter auch jene Toten mitgemeint sind, die als „verhungert" in unserem Sterberegister stehen.

Von unserer Gemeinde fanden sich etwa 120 Mitglieder, die überlebt und in unserer Stadt geblieben oder gar von auswärts aus anderen französischen Gemeinden zu uns gekommen waren, so aus Stettin oder Königsberg i. Pr.

 

Zum einen großen Volke Gottes gehörig

Und die Benutzbarkeit der Kirche und des Pfarrhauses konnte wiederhergestellt werden. Der Geschichte gefällt es bisweilen, sich in Anekdoten zu symbolisieren. Wenn wir unser 250-jähriges Jubiläum in ökumenischer Orientierung feiern konnten, ist uns diese freundliche Wendung in der Kirchengeschichte schon selbstverständlich; aber es verdient festgehalten zu werden, was die erste Sitzung nach dem Schweigen der Waffen beschlossen hat. Am 29. Juli 1945 stellte das Presbyterium einmütig fest: „daß ihnen die Adv. (= Adventisten) nicht sonderlich erwünscht seien, sie aber doch aus Gründen der christl. Verbundenheit den Saal zur Verfügung stellen wollten". In derselben Sitzung wurde der Heiligengeistgemeinde, die ihre Kirche durch Totalschaden verloren hatte, die Benutzung der Französischen Kirche gestattet. Gegenwärtig steht unser Saal, ebenfalls aus christlicher Verbundenheit, der „Christengemeinschaft" zur Verfügung. Schon in den Tagen des Grauens ist ein ökumenischer Schimmer wahrzunehmen. Karl Manoury erzahlt: „Noch in der Nacht (nach dem Luftangriff) kam ein holländischer Glaubensgenosse, der als Zivilarbeiter in Potsdam war, um uns mit der Hilfe anderer Holländer auszugraben. Es war zum Glück nicht nötig, aber diese glaubensbrüderliche Verbundenheit freute uns doch sehr."

Der Krieg brachte auch das Ende gewisser Äußerlichkeiten, die für die Verbindung unserer Gemeinden mit hochgestellten Kreisen unumgänglich geschienen. Dr. Bonte, der einige Jahre zuvor den Kronprinzen so fein im Zeuge empfangen mußte, weil er sich am besten aufs Protokoll verstand, starb. „Nach Bontes Tod", erzählt Karl Manoury, „trat eine bemerkenswerte Änderung ein. Bis dahin kamen die Presbyter immer mit Zylinder, Gehrock und Regenschirm zur Kirche, der Pfarrer auch, ich selber ließ allerdings den Regenschirm fort. Jetzt meinten die Herren, wir wollten lieber den feierlichen Anzug fortlassen, denn da in den nazistischen Witzblättern und sogar im Zirkus der englische Politiker Chamberlain so dargestellt wurde, riefen die Kinder immer hinter ihnen her: ‚Schämberlin!‘ und hielten sie für Witzblattfiguren. Darauf ließen wir es also und kamen einfach im dunklen Anzug."

Diesen Entschluß verstehen wir heute als Abschied von einer Zeit, die von höfischem und ständischem Zeremoniell geprägt war. Die rühmenswerten Presbyter der Kriegsjahre hingegen wußten, daß die verläßliche Substanz einer Gemeinde wie der unseren auch in der „Residenzstadt Potsdam" (so noch 1957 auf unseren Mülleimern zu lesen!) von anderer Art ist.

Und nun schreiben wir das Jahr 1953, das 200. nach unserer Beschenkung mit der Kirche am Bassin. Die Schenkungsurkunde, die Friedrich II. am 16. September 1753 unterzeichnete, befindet sich jetzt im Hugenottenmuseum. Unser antihierarchisch gesonnenes Presbyterium unserer seit bereits mehr als 200 Jahren „mündigen Gemeinde" hatte loyal aber nicht servil den Herrn Bischof und den gar in der gleichen Stadt residierenden Generalsuperintendenten (sein Haus war die Villa eines der Unseren gewesen, des Justizrates Defoy!) eingeladen. Aber die Herren hatten abgesagt; so konnte ohne das Protokoll zu verletzen Pfarrer Berthe die Festpredigt halten, einst als Sohn unseres Presbyters bei uns getauft und konfirmiert.

Seitdem ist nun auch wieder Zeit vergangen; und wieder einmal fiel Putz aus der Kuppel der Kirche, und wieder einmal mußte sie dem Gebrauch entzogen werden. Dies hat Karl Manoury aber nicht mehr erlebt. Nach seinem Tode am 8. August 1966 trug ich dem Presbyterium bis zu einer amtlichen Regelung meine Dienste zur Aushilfe an, so daß der l4-tägige Turnus der Gottesdienste lückenlos fortgesetzt werden könnte. Daß aus diesem Hilfspredigerdienst dann die Berufung in die Nachfolge Manourys wurde, gehört nicht mehr ganz hierher, da es nicht Geschichte, sondern Gegenwart ist, wird auch nur erwähnt, weil es Manourys Wunsch entsprach. Er wußte von meinen Seufzern über meine theologische Existenz in der Heiligengeistgemeinde, deren eine Pfarrstelle eigentlich eine reformierte ist; Schwierigkeiten hatte es schon mit ihr bei der gemeinsamen Benutzung der französischen Kirche öfter gegeben.

Die Neubesetzung wollte bedacht werden, sowohl von der Behörde als auch vom Kandidaten, der sich scheute, eine Gemeinde mit einer so preziösen, aber auch kapriziösen Geschichte zu betreuen. Die hier dargetanen Ausführungen müssen schlecht und recht beweisen was aus der Begegnung mit ihrer Geschichte geworden ist. Sie wurden in gekürzter Form zum 30. September 1973 als Festvortrag als Gabe der Dankbarkeit für das gewährte Refuge dargebracht. Und zum Schluß eine Erinnerung an den Festgottesdienst zur Colignyfeier 1972 in Paris: Da hatte der Prediger Mazel im Oratoire gesagt, wir seien heute eine andere Generation als die zerstrittenen Väter, denn die Glocken der benachbarten katholischen Kirche lüden zu diesem Gottesdienst gemeinsamen Gedenkens ein. Und so läuten die Glocken der katholischen Kirche am Bassinplatz gerade dann, wenn wir in unserer Liturgie zum Herzstück unseres Gottesdienstes kommen, zur Lesung aus der Heiligen Schrift; Erinnerung daran, daß unsere kleine Schar Getreuer mit ihrer besonderen Geschichte und mit ihrer besonderen Prägung zu dem einen großen Volke Gottes gehört.

veröffentlicht in Die Hugenottenkirche Nr.10 und 11 (1974)

Aufbereitung für diese Web-Seiten: Ch.Förste und W.Cramer (2001)

 

 

 

  Chur-Brandenburgische  E D I C T (vom 29. Oktober 1685) 

Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg

 

Das königliche Geschenk - 250 Jahre Französische Kirche 

Kamp, Silke

 

Potsdamer in der Französischen Kirche am 23.September 1753 

Kamp, Silke

 

Das Holländische Viertel in Potsdam und die Französisch-Reformierte Gemeinde 

Kamp, Silke

 

Die Französischen Kirche und das Wasser 

Kamp, Silke

 

„So bin ich eines Refugirten Sohn aus Franckreich“ Ein französischer Lichtzieher im Streit mit dem Seifensiedergewerk

Kamp, Silke

 

Zur Geschichte der Französisch-Reformierten Gemeinde Potsdam zwischen 1662 und 1953  

Manoury, Karl

 

"Das Wort Gottes und die Grenzen des Erträglichen"

Thesen zur Disputation zum 300. Jahrestages des Edikt von Potsdam (1985)

 

Bekenntnis aus der Französisch-Reformierten Gemeinde in Potsdam zu Toleranz 

 

   

 

   

 

 

 

   

 

Stand: 19. Februar 2020

 

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